Spaß und gemeinsames Lernen für nicht sprechende Kinder mit unterstützter Kommunikation
Wir, Verena Dineiger und Manuela Meißner, arbeiten seit 20 Jahren als Logopädinnen im Heilpädagogischen Zentrum Irchenrieth und in eigener Praxis „Logopädie für besondere Kinder“. Schwerpunkt in unserer Arbeit mit fast ausschließlich behinderten oder von Behinderung bedrohten Kindern, bildet die unterstützte Kommunikation und die Mund- Ess- Trinktherapie (Sondenentwöhnung, Fütterstörung, Trinkschwäche, Orofacialstörung). Gerade in diesen Bereichen haben wir zahlreiche Fortbildungen besucht und sind darüber hinaus zertifizierte Castillo- Morales-, Theraplay- und Konlab Therapeutinnen, sowie Therapeutinnen und Referentinnen für unterstützte Kommunikation. Im vergangenen Jahr konnten wir ein besonderes Projekt umsetzen, bei dem einige Kinder großzügigerweise von der Kinderkrebshilfe unterstützt wurden. In den Sommerferien fand eine UK (unterstützte Kommunikation) Intensivwoche im Gemeindezentrum in Mantel statt, in die wir im Folgenden einen kleinen Einblick geben möchten.
Teilnehmer: Es nahmen sechs Schulkinder mit unterschiedlichen Behinderungen teil, die aber alle die Gemeinsamkeit haben, dass sie über keine oder nur geringe aktive Lautsprache verfügen und über eine elektronischen Kommunikationshilfe (Tablet) kommunizieren. Die Gruppe fand ohne Begleitung der Eltern statt.
Zeitlicher Rahmen: Die Intensivwoche fand an vier aufeinanderfolgenden Tagen über jeweils 3 Stunden statt. Nach der Hälfte der Angebote machten wir eine gemeinsame Essenspause. Am letzten Abend wurden die Eltern zu einem Elternabend eingeladen, bei dem sie allgemeine Informationen zum therapeutischen Vorgehen sowie Tipps für zu Hause erhielten und auch ausgewählte Videos der Gruppenaktivitäten zu sehen bekamen, um so einen Einblick in den Wochenverlauf zu erhalten.
Ziele: Unser Hauptziel war es, gemeinsam mit den Kindern durch alltagsnahe Gruppenaktivitäten die Lust auf Kommunikation zu wecken, alternative Kommunikationsformen anzubahnen oder bereits bestehende weiterzuentwickeln. Der Spaß und das „Voneinander Lernen“ stand dabei im Vordergrund, da diese Faktoren unserer Meinung nach entscheidend dazu beitragen, sprachliche Fortschritte zu machen.
Die Wichtigkeit der Symbole für nicht-sprechende Kinder: Da die Entwicklung der Lautsprache für viele unserer Kinder aufgrund ihrer körperlichen Behinderung vermutlich nicht erreicht werden kann, haben wir unseren Schwerpunkt während der Intensivwoche auf die Kommunikation über Symbole (Bilder) gelegt.
Um Sprache entwickeln zu können, brauchen Kinder „Bilder im Kopf“. Durch Spielhandlungen, Erfahrungen und Interaktionen mit Gegenständen und Bezugspersonen, die diesen Gegenständen eine Wortbedeutung geben, entwickeln Kinder ein Symbolverständnis. Sie lernen, dass ein runder Gegenstand, den man rollen und werfen kann, von allen „Ball“ genannt wird und haben diesen als „Bild im Kopf“ abgespeichert.
Kinder müssen also die Welt der Gegenstände und die dazu passenden Handlungen kennenlernen. Sie müssen sie sehen, hören und greifen, um später zu erfahren, dass sie auch dann existieren, wenn man sie nicht sehen, hören oder greifen kann, und um schließlich zu entdecken, dass diese nicht anwesenden Dinge durch Symbole (gesprochene Sprache, Bild, Gebärde, individuelle Zeichen) repräsentiert werden können.
Folglich wollten wir diesen Kindern Symbole zur Verfügung stellen, die solche Entwicklungsschritte gezielt unterstützen. Sprache wird somit für sie nicht nur hörbar, sondern auch sichtbar, nämlich in der Form von Symbolen, die sie nicht nur als Lautgebilde, sondern auch als Bilder in ihrem Kopf abspeichern können.
Ablauf: Exemplarisch möchten wir hier den Ablauf eines Tages aufzeigen:
Ankommen: Die Kinder werden von ihren Eltern gebracht und von uns begrüßt. Wir ziehen Jacke und Schuhe aus und gehen in den Gruppenraum.
Begrüßung: Jedes Kind begrüßt die anderen mit seiner Kommunikationshilfe, erzählt vom Vortag, bespricht das Wetter und die Tagesstruktur. Daraufhin werden die Gruppenregeln besprochen, die über METACOM-Symbole visualisiert sind. Jedes Kind darf eine Regel ziehen und wir schauen diese gemeinsam an, besprechen sie und legen sie in der Mitte ab, so dass sie für alle immer sichtbar sind. Unsere Regeln lauten: Wir haben zusammen Spaß / Wir tun uns nicht weh / Wir bleiben alle zusammen / Wir sind lieb zueinander. Danach holen wir den Raben Fridolin, der sich unter dem Tisch in der Mitte versteckt hat, hervor und jedes Kind darf mit dem Raben im Arm einmal um alle anderen herumlaufen oder fahren (bei Rollstuhlkindern) und wir singen dazu ein Lied. Bei einem Kind seiner Wahl hält der Herumlaufende an und begrüßt es nochmal einzeln und übergibt den Raben.
Fürsorge: Wir holen einen Sitzsack und legen diesen in die Mitte. Über die Fotos auf dem Tablet suchen wir das erste Kind aus, das sich auf den Sitzsack legen darf. Wir schauen gemeinsam, ob das Kind eine Verletzung hat und es darf sich selbst über die passende Seite auf dem Tablet aussuchen, ob es Creme, Puder, Schaum oder Spray auf sein „Aua“ haben möchte und wir singen ein „Heile Segen“-Lied dazu. Das Kind in der Mitte wählt dann das nächste aus, das sich auf den Sitzsack legen darf.
Vers: Im Anschluss daran stehen wir alle auf, nehmen uns an der Hand und laufen gemeinsam im Kreis. Dazu sprechen wir den Vers der „Großen Uhren“ und begleiten diese mit Bewegungen im passenden Tempo.
Pause: Danach machen wir eine gemeinsame Essenspause und alle haben Zeit sich zu stärken und auch etwas auszuruhen. Dafür haben wir für alle Kinder Tischsets mit Symbolen gestaltet, so dass sie auch beim Essen Wünsche und Bedürfnisse ausdrücken können („Ich möchte trinken“) oder kommentieren können („Banane lecker“). Außerdem stehen alle Tablets bereit, so dass sich teilweise wirklich lustige und spannende Gespräche ergeben.
Stimulierung und Herausforderung: Nun begeben wir uns wieder in den Kreis und jedes Kind sucht sich über sein Tablet die Farbe eines Luftballons aus. Daraufhin pusten wir diesen auf und das Kind darf über die Symbole entscheiden, ob wir ihn laut quietschen oder fliegen lassen sollen. Das war ein Spaß! Es werden dann noch alle Luftballons aufgepustet, mit einem Gesicht bemalt und auf einen großen Fallschirm gelegt. Wir stehen alle um den Fallschirm herum und wackeln diesen und wollen versuchen, dass die Luftballons entweder nicht herunterfallen oder ganz hochfliegen. Wir gehen dazu auch im Kreis und singen „Auf der grünen Wiese steht ein Karussell …“. Am Ende wollen natürlich alle Kinder unter den Fallschirm und sich verstecken. Jeder darf erst einzeln darunter und am Ende alle zusammen und wir singen dazu das Lied „Der … ist verschwunden, wir haben keinen … mehr“.
Um beim Luftballon-Thema zu bleiben, haben wir bereits Wasserbomben befüllt und gehen alle zusammen nach draußen auf den Hof.
Hier darf sich wieder jeder über die Bilder eine Farbe aussuchen und die Wasserbomben werfen. Es ist gar nicht so einfach, diese kaputt zu bekommen, aber gemeinsam schaffen wir es und freuen uns wie es spritzt! Gleichzeitig zeigen und kommentieren wir über die Symbole die Wörter „nass“, „spritzt“, „lustig“ oder „nochmal“.
Abschlusslied: Am Ende der drei Stunden setzen wir uns nochmal in den Kreis und singen ein gemeinsames Abschlusslied.
Verabschiedung: Der Tagesablauf wird dann individuell auf jedes Tablet gesprochen, so dass die Kinder Mama und Papa von ihrem Tag berichten können. Wir ziehen uns gemeinsam an und übergeben die strahlenden Kinder an ihre Eltern.
Fazit: Für uns als Therapeutinnen, die gewöhnlich in Einzelsituationen mit den Kindern arbeiten, ist die Intensivwoche jedes Mal eine großartige Abwechslung und bereitet uns sehr viel Freude. Wir bekommen durch die Begleitung beim Essen, beim An- und Ausziehen und bei der Pflege auch einen kleinen Einblick in den Alltag mit einem behinderten Kind und haben dadurch größten Respekt vor allen Eltern erworben, die dies tagtäglich leisten. Außerdem ist es eine Freude, zu beobachten, wie schnell durch gemeinsame Aktivität miteinander unbekannte Kinder zu einer Gruppe heranwachsen und wie viel Selbstbewusstsein bei Kindern entstehen kann, wenn sie plötzlich selbstbestimmt Entscheidungen treffen können, nur durch die Möglichkeit, dass man ihnen eine Sprache (in unserem Fall Bilder und Symbole) zur Verfügung stellt, die sie sprechen können.
Herzlichen Dank
Wir möchten uns an dieser Stelle nochmals ganz herzlich im Namen der Kinder für die unkomplizierte Unterstützung bei der Finanzierung der UK-Intensivwoche bedanken.
Verena Dineiger und Manuela Meißner